Review: Touche Amore - Lament
VÖ: Epitaph Records |
In der Tat. Ich sitze hier und probiere einen Text zum neuen Touche Amore-Album zu schreiben und dabei kommen mir dutzende Ideen, dutzende Gedanken, dutzende Ansätze, dutzende Erinnerungen in den Kopf. Diese Band hat in den letzten 11 Jahren offensichtlich viel in mir bewegt...
Also starten wir einfach von vorne, bei meinem ersten Berührungspunkt mit dieser besonderen Band: "To the Beat of a Dead Horse". Das Debütalbum aus 2009. "Irre", dachte ich mir neulich, "dass diese Platte schon so alt ist". Ich hätte darauf schwören können, dass sie in den 2010er-Jahren rauskam! Kann man da schon von einem "Klassiker" sprechen?! Dumme Frage eigentlich, da ich das Teil schon nach gefühlten 5 Durchläufen als "Instant Classic" abgefeiert habe. 11 Jahre später sage ich: Zurecht. "Dead Horse" ist also ein waschechter Klassiker! Ich weiß nicht, wie Touche Amore heute dazu stehen, doch da ich einem ähnlichen Jahrgang angehöre, kann ich's wohl ganz gut nachvollziehen. Sicher fühlt sich das 11 Jahre später alles etwas juveniler an als damals, schließlich wird man älter und nunja, irgendwie reifer... doch man merkt, dass hier keine Hosenscheißer dahinter steckten. In der Hinsicht hat "To the Beat of a Dead Horse" 11 Jahre später den Status den ein "Full Collapse" oder ein "The Opposite of December" bis an mein Lebensende für mich haben werden. Wer Touche Amore erst mit dem dritten oder vierten Album kennenlernte oder aus einem anderen Lager kommt, wird "Dead Horse" wohl nie begreifen können. Als HC-Kid liebte ich "Dead Horse" damals einfach abgöttisch und tue es immer noch. Die Platte rockt wie nix Gutes, hat diesen einmaligen Sound, kommt perfekt auf den Punkt und erfand einen völlig neuen Stil. Ich war damals schlicht geschockt wie sich diese Band konsequent zwischen die Stühle gesetzt hat, weil man echt nicht wusste, ob man das Ganze als Screamo im Sinne von Comadre oder Loma Prieta, als Modern-Hardcore a la Modern Life is War oder Defeater oder als emotionalen Postcore in Richtung Thursday bezeichnen soll?! Wie sich Jahre später herausstellen sollte, gaben die Kalifornier damit die Richtung des ganzen Post-Hardcore-Genres in den 2010er-Jahren vor. Man hatte schon damals das Gefühl, hier eine ganz besondere Band zu hören. Selbst wenn "Dead Horse" über die Jahre hinweg starke Konkurrenz aus dem eigenen Haus bekam, würde ich mich im Zweifelsfall wohl immer dafür entscheiden die Worte von "Honest Sleep" lauthals mitzubrüllen und dabei wie ein HC-Teenie durch meine Bude zu wüten...
Zum anderthalb Jahre später erschienenen "Parting the Sea between Brightness and me" hat sich meine Meinung wenig geändert. Das typische "wir haben nicht viel Zeit, müssen am erfolgreichen Debüt anschließen und machen deshalb etwas Ähnliches, nur etwas melodiöser und massentauglicher"-Feeling ist in jeder Sekunde spürbar. Ein Feeling, das so vielen Postcore-Platten in den 2000er-Jahren anhaftete. Mit all' diesen Fesseln ist "Parting" aber immer noch ein besseres Album als bspw. ein "Tear from the Red" (Poison the Well), ein "The Fiction we live" (From Autumn to Ashes) oder ein "The Artist in the Ambulance" (Thrice). Die Platte macht Spaß, ist ohne große Fehler, hat Highlights ohne Ende und gar 3-4 Songs die es langfristig auf meine digitale Playlist geschafft haben - doch wenn ich die Wahl habe, sehe ich keinen Grund "Parting" seinem Vorgänger vorzuziehen. Ähnlich wie ich "Dead Horse X" nicht dem Original vorziehe.
"Is survived by" war dann eigentlich das wahre zweite Album. Die Band konnte ihre Reife auf Tonband bringen, leugnete dabei aber niemals ihre Wurzeln. Sowohl musikalisch, als auch lyrisch war das alles etwas reifer, etwas mutiger, etwas offener, etwas künstlerischer. Ich mochte die Platte damals relativ schnell und gewissermaßen ist sie über die Jahre hinweg auch gewachsen. Aktuell sehe ich sie für mich persönlich auf Platz 3 im Bandkontext. Mein Hauptkritikpunkt ist, dass sie so "frontloaded" wie kein anderes Touche Amore-Album ist. Die erste Hälfte ist schlicht überragend, abgeschlossen vom grandiosen "Harbor" (vielleicht sogar mein Lieblingssong der Band). Doch die zweite Hälfte kann da -ohne jemals wirklich schwach zu sein- einfach nicht mithalten.
...und dann kam "Stage Four". Das Album, mit dem sich Touche Amore für mich endgültig unsterblich gemacht haben. Ein Album, das beweist, dass die beste Musik immer in seelischen Abgründen entsteht. Kaum eine Platte hat mich in den letzten paar Jahren so dermaßen berührt wie die Platte, die Bolm rund um den Tod seiner Mutter geschrieben hat. Die Texte sind so real, dabei aber so poetisch formuliert, dass man hin- und her gerissen ist zwischen einem schönen, wohltuenden und einem tief bedrückenden Gefühl. Die Platte ist jedenfalls sehr schwer zu verdauen und demnach der krasse Gegenentwurf zu "Dead Horse", das eigentlich jeden Tag geht. Nein, "Stage Four" geht nicht jeden Tag. Lyrik und Atmosphäre sind so dominant, dass es fast schon sekundär erscheint, etwas über die Musik zu schreiben. Doch ehrlich: Dies wäre mehr als unfair, denn die Band lief auch in dieser Hinsicht zur Hochform auf und emanzipierte sich endgültig vom "Dead Horse"-Sound, ohne ihn aber als Basis vollkommen zu verbannen. Es gibt mehr Gesang, mehr Melodien, richtig schöne und elegante Melodien, ja, mehr Pop, mehr Indie-Rock, aber auch straighten Rock und einfach ganz ganz viel Gefühl. Weil Bolm in seinen Texten auch so unverblümt und direkt ist, nehme ich den schmalen Grat zwischen Kitsch und Authentizität genauso wie er und sage: Diese Platte hat mich schlicht zu Tränen gerührt.
4 Jahre sind seitdem ins Land gezogen und nun ist das neue Album "Lament" wenige Wochen alt. Klar ist: Egal welches Album Touche Amore veröffentlicht hätten, gegen "Stage Four" hätte es immer verloren. Einerseits war die Ausgangssituation für das Quintett sicher schwierig, andererseits befinden sie sich anno 2020 auch in einer Luxus-Position. Denn irgendjemanden etwas beweisen müssen sie wirklich nicht mehr. Sie waren die wichtigste (Post-)Hardcore-Band der letzten Dekade, gaben die Richtung für ein ganzes Genre vor, beeinflussten Scharen an neuen Gruppen und können schon jetzt auf eine hervorragende Discographie zurückblicken...
Also machte man das, was Sinn macht. Wie zuvor hält man grob am über 10 Jahre alten Grund-Sound fest, geht aber gleichzeitig den Weg weiter, der mit "Is survived by" gelegt und mit "Stage Four" gefestigt wurde und experimentiert auf erwähntem Grundgerüst so authentisch es halt nur geht. Ob das Ergebnis überraschend oder nicht ist, sei mal dahingestellt, doch es gibt auf "Lament" definitiv einige "Firsts" für Touche Amore. Das vorab schon bekannte "Limelight" etwa ist mit 5 Minuten nicht nur der längste Song der Bandgeschichte, sondern auch eines der ruhigsten, elegantesten Stücke. "Reminders" ist vielleicht sogar das poppigste und positivste Stück, das Bolm und Co geschrieben haben. Post-Punk/New-Wave spielt auch eine größere Rolle als davor, man höre die Gitarrenarbeit in "Feign" oder dem Titelsong. Dem gegenüber stehen schnelle, aggressive Nummern wie "Come Heroine" oder "Exit Row", die beinahe in alter Tradition drauflos wüten. Das größte Highlight ist für mich das bezaubernde "A Broadcast", in dem Touche Amore waschechte Americana-Einflüsse verbraten.
Lyrisch ist "Lament" das wohl positivste Touche Amore-Album, was absolut glaubwürdig ist. Doch auch in dieser Hinsicht blieb sich Bolm treu, denn die selbstkritischen, selbstzweifelnden, ja "klagenden" Texte nehmen im Laufe der LP dann doch wieder Überhand. Zeilen wie "You think by now I know my place, but I loose it almost every day" (aus dem Titelsong) oder "I'll test the water/I won't dive right in/I'm not comfortable/I rarely am" (aus "Deflector") sind die typische Bolm-Kost, die man schon nach wenigen Durchläufen inbrünstig mitsingt.
Trotz der neuen, musikalischen Elemente und einer deutlich optimistischeren Stimmung ist "Lament" weit davon entfernt eine Revolution im Bandrahmen zu sein. Was es jedoch ist, ist erneut ein saustarkes Album mit tollen Momenten und vielen guten bis richtig starken Songs. Keine Ahnung was Touche Amore nach "Stage Four" machen hätten können, doch ich denke, sie haben in vielerlei Hinsicht sehr vieles sehr richtig gemacht.
Habe ich jetzt tatsächlich mehr zu den Alben davor als zu "Lament" geschrieben?! Tja, wie gesagt...
"It's hard to write content.
And it still is.
And it still is."
Rating: 8 von 10
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