Review: Grow Grow - Lichterloh

Label: DIY

Vocals können manchmal ein Todesargument für eine Platte sein, ein "Gatekeeper". Etwas, das einem beim ersten mal hören stören kann und einem somit nicht mal ermöglicht in eine Platte richtig reinzukommen. Sozusagen der unsympathische Prollo-Türsteher der Dorf-Disco! Nur so viel gleich vorweg: Ich konnte den Türsteher überlisten, kam in die Disco rein und finde ihn mittlerweile gar nicht mehr so unsympathisch wie beim ersten Kennenlernen.

GROW GROW aus Berlin bestehen seit ungefähr 10 Jahren und waren in dieser Zeit ziemlich produktiv, denn neben zwei EPs ist "Lichterloh" schon ihre vierte LP. Die Band textet auf Deutsch, platziert sich rein musikalisch aber nicht bei den üblichen Verdächtigen der Punk-Szenerie. Genauer gesagt setzt man sich zwischen jegliche Stühle. Kollege Steff hat in seinem Review schon sehr treffend vielerlei Genres gelistet, aus denen sich das Trio bedient und auch Gruppen wie DRIVE LIKE JEHU, FUGAZI oder AT THE DRIVE-IN erwähnt, die die Berliner sicher ganz gut finden. Grob packt man das wohl in die heutzutage oft nichtssagende Post-Hardcore-Schublade, die Band selbst denkt allerdings niemals in Genre-Schubladen, was man schon sehr schnell merkt. Auf Bandcamp nennt man lediglich Touch&Go- oder AmRep-Stoff als Inspirationsquelle.

Da GROW GROW bisher sang- und klanglos an mir vorbeigegangen sind, kann ich keinerlei Vergleiche zum Backkatalog anstellen. Nach dem Lesen vom Crossed Letters-Review und dem ganzen Namedropping allerseits, war ich dann doch sehr ĂĽberrascht, wie das Resultat schlussendlich klingt. Sicher, vom musikalischen und vom Sound her hat das vieles der erwähnten Referenzen, bei den Gitarren auch mal gerne was von den HOT SNAKES oder auch von GARDEN VARIETY, die längst vergessenen Landsleute von KENZARI's MIDDLE KATA und KĂ„FER K schmeiĂź ich mal ebenso in die Referenz-Waagschale! Doch ich habe mir hier etwas deutlich Aggressiveres, Frecheres, Wilderes, Lauteres erwartet. Stattdessen ist das Ganze schon sehr von melodischen Gitarren getrieben, von Emo-mäßiger Melancholie wie in "Tiefer Riss", "Stadt ohne Namen" oder "Wir waren Vampire". Mit den teils ausladenden Songkonstrukten und dem verbreiteten, epischen Feeling, atmen GROW GROW öfter denn je dicke Post-Rock-Luft - man höre "Mit Piranhas im Pool", "Tiefer Riss" oder den ausgedehnte Schlussteil von "Bravo Bravissimo", der in den ebenso ausgedehnten, instrumentalen Beginn vom Closer "Landstreicher" hineingleitet. 

So klingt das dann wohl, wenn eine Band viele Vorlieben hat, aber eben nicht in Genres denkt und sich nicht an das klassische Vers-Chorus-Vers-Schema hält, sondern Songs schreibt, die zwischen 4 und 6 Minuten lang sind. Und genau das ist die große Stärke von "Lichterloh", denn die Platte hat das, was so viele Platten eben nicht haben: Eine gute Portion an Unberechenbarkeit und eine noch viel üppigere Portion an Eigenständigkeit. Das macht das Album spannend und sorgt beim Hören für eine gewisse Lernkurve, denn auf den ersten Eindruck erschließt sich vieles nicht direkt.

Und jetzt zu diesem Türsteher! Ich war anfangs nicht der größte Fan der Vocals, die mich an eine Mischung aus TURBOSTAAT, FRAU POTZ & KÄFER K erinnern. An diesen meist hysterisch rausgeleierten Schrei-Gesang musste ich mich in den ersten Durchläufen erst gewöhnen. Doch es klappte von mal zu mal besser und so wusste ich die doch sehr emotionalen, inbrünstigen Vocals immer mehr zu schätzen. In Verbindung mit der Musik klappt es sehr ordentlich und es ist niemals so, dass sich der Sänger in den Mittelpunkt drängt. Die Balance stimmt. Von Todesargument also weit entfernt, Halleluja! Ach ja, zudem ein Pluspunkt für die recht originellen und sehr bildlichen Songtexte...

Rating: 7 von 10

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